Zeitweise brausten die ZSC Lions über den HCD hinweg, als sei der Leibhaftige vom Uetliberg herabgefahren. Am Ende stehen oben auf der Resultatanzeige ein 6:1 und 50:35 Torschüsse. Was das bedeutet, mag ein Blick in die Statistik zeigen: Im Viertelfinal gegen Kloten kamen die Zürcher auf maximal 38 Abschlussversuche. Die Pucks prasselten also wie bei einem Hagelsturm gegen den tapferen HCD-Torhüter Sandro Aeschlimann.
Und doch war es keine einseitige Angelegenheit. Der HCD hatte mit 35 Torschüssen durchaus dagegengehalten. Kloten vermochte im Viertelfinal den ZSC-Goalie maximal 27-mal zu prüfen.
Für diese offensive Entfesselung der ZSC Lions im Vergleich zum Viertelfinal hat Nationalverteidiger Christian Marti eine Erklärung. Ein Derby sei eben immer ganz speziell und das könne sich auch hemmend auswirken. Und nach den Gründen für die zeitweise stürmische, für die ZSC Lions ungewöhnlich emotionale Spielweise gefragt, spricht er von der guten Stimmung in der Garderobe, vom Zusammenhalt und bringt es auf den Punkt: «Wir sind eine Mannschaft.» Was bei so zahlreichen grossen und teilweise sogar ein wenig kapriziösen Egos in der Kabine keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Und es kann zumindest vorübergehend ein Vorteil sein, dass Trainer Marco Bayer kein so gestrenger Chef ist wie sein charismatischer Vorgänger Marc Crawford: Es dürfte leichter sein, zündende spielerische Ideen zu entwickeln, wenn man nicht durch allzu starre Strukturen eingeengt wird oder sich durch einen autoritären Chef eingeengt fühlt. Fast ein wenig wie in einer Rudolf Steiner-Schule. Aber wir wollen nicht vom Thema abkommen.
Auf ein funktionierendes Kollektiv weist auch Marco Bayer hin, wenn er die gute Balance zwischen Offensive und Defensive erwähnt und seine vierte Linie als Dynamo des Spiels ausdrücklich lobt: «Sie bringt unheimlich viel Energie in unser Spiel und ich bin sehr glücklich, dass Nicolas Baechler mit einem Tor für die gute Leistung belohnt worden ist.» Der 21-jährige Mittelstürmer führte die vierte Formation mit dem gleichaltrigen Joel Henry und dem erfahrenen «Armee-Sackmesser» Chris Baltisberger (33) auf den Aussenbahnen. Als «Swiss Army Knife» bezeichnen die Nordamerikaner einen Spieler, der in jeder Position eingesetzt werden kann und sich in allen Situationen bewährt.
Es kann sehr wohl sein, dass diese vierte Linie aus Spielern, die alle in der Organisation der ZSC Lions ausgebildet worden sind und im Farmteam ihren letzten Schliff erhalten haben, zum entscheidenden Faktor in diesem Halbfinal werden.
Der HCD war nämlich keineswegs so desolat, wie es das Resultat vermuten lässt. Es gibt in der Beurteilung der Partie genug «könnte», «hätte», «wäre» und «müsste eigentlich», die dem HCD weiterhin Grund zur Zuversicht geben. Marco Bayer räumt ein, dass seine Mannschaft im wilden Hin und Her des ersten Drittels mit drei Toren «hätte» in Rückstand geraten können. Der HCD «müsste eigentlich» aus den Chancen in dieser Phase mindestens drei Treffer erzielen. Und dann «wäre» das Spiel womöglich ganz anders verlaufen. Es «könnte» sein, dass die Zürcher bei mehreren Gegentreffern in der Startphase nicht zu ihrem schwungvollen, dynamischen und zeitweise begeisternden Spiel gefunden hätten, das in der vielleicht besten Partie dieser Saison gipfeln sollte.
Die Zürcher sind sich durchaus bewusst, dass es nicht einfach so weitergehen wird wie am Samstag. Marco Bayer erwartet, dass die Davoser am Dienstag «kommen werden wie die Feuerwehr».
Die Zuversicht ist beim HCD jedenfalls durch diesen Auftakt nicht zerzaust worden. Trainer Josh Holden suchte keine Ausreden und beklagte sich nicht. Er sah die Ursache in den Mängeln des eigenen Spiels, das nicht der HCD-DNA entsprochen habe. «Wir sind zu wenig gelaufen, wir waren zu wenig unter der Haut der Gegenspieler.» Und trotzdem war der HCD zu 35 Abschlussversuchen gekommen. Nur in einem Spiel im Viertelfinal gegen Zug waren es noch mehr gewesen (43).
Ein 1:6 vermag weder den Trainer noch seine Spieler zu erschüttern. 1:6 – na und? Die Davoser sind mental robust wie kaum ein anderes NL-Team. Dafür gibt es ein gutes Beispiel aus der Qualifikation: Im Herbst folgte vier Tage nach einem kläglichen 0:7 in Langnau ein 6:2 in Zug.
Was dem HCD zum Verhängnis werden kann, ist die von Marco Bayer gelobte vierte Linie der ZSC Lions. Mit Tino Kessler, Enzo Corvi und Yannick Frehner fehlen für den Rest der Saison verletzungsbedingt drei Stürmer, die auch bei jedem NL-Team einen Stammplatz hätten. Enzo Corvi ist sogar einer der besten Mittelstürmer der Liga mit Schweizer Pass.
Josh Holden setzte in Zürich zeitweise nur noch 10 Stürmer ein. Seine vierte Linie bildeten Beni Waidacher (18), Rico Gredig (20) und Julian Parré (22). Die drei haben diese Saison zusammen 4 Tore beigesteuert und für Beni Waidacher war es erst die vierte Partie mit dem HCD.
Laufen, Tempo, Dynamik und Energie machen die DNA des HCD-Spiels aus. Noch ist der HCD nicht verloren. Am Ende wird es auf die Frage hinauslaufen, ob die Davoser genug Personal und Energie haben, um den ZSC Lions davonzulaufen. Nach dem Motto: So weit die Füsse tragen …
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Spiel eins von möglichen 7 gewonnen und die Serie ist noch nicht entschieden? Was für eine Wahnsinns-Erkenntnis!